Otto von Habsburg Dr. Otto von Habsburg

Präsident der Paneuropa-Union und
Sohn des letzten österreichischen Kaisers



Friedensstrategie


"Wer die Geschichte kennt, wird aus dieser lernen, dass das Wort Bismarcks, man könne mit Bajonetten alles machen, nur nicht darauf sitzen, Ausdruck einer Grundwahrheit der Politik ist. Es ist nämlich schon seit Urzeiten bekannt, dass dauernde Lösungen nur durch einen allen Seiten gerecht werdenden Frieden erreicht werden können. Dazu allerdings gibt es wesentliche Vorbedingungen, nicht zuletzt, dass man bei ernstlichen Verhandlungen seinen Partner nicht aussuchen kann. Das lehrt die Geschichte. Die wirklich Großen unserer Zeit, aber auch früherer Perioden, haben dies erkannt. In unseren Tagen war es insbesondere General de Gaulle, der mit seiner historischen Vision wusste, wie man einen Frieden einleitet und tatsächlich durchführt. Er hat bereits im Laufe des Zweiten Weltkrieges immer wieder betont, dass es eine dauernde europäische Versöhnung ohne Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen in Europa nicht geben kann. Er hat das in historischer Perspektive in die Formel gebracht: Vorbedingung für unsere Zukunft sei die Revision des Vertrags von Verdun. Geboten sei eine Verständigung zwischen den West- und Ostfranken.

De Gaulle hat dann später einen Frieden mit Algerien herbeigeführt, indem er diejenigen Führer der algerischen Kämpfer zu seinen Partnern machte, die am härtesten gegen Frankreich angetreten waren. Wäre Frankreich seinerzeit den Weg gegangen, den Francois Mitterrand und seine Freunde wollten, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach das Land an der algerischen Krise zugrunde gegangen. So aber war der Friedensschluss mit Algerien der Beginn der großen Rolle von Paris in der europäischen Politik.

Nicht weniger bezeichnend war die Beziehung zwischen Frankreich und Marokko. Kleingeistige Politiker, wie etwa Georges Bidault, hatten Mohammed V. von Marokko verhaften lassen und in das Exil geschickt. Sie hatten weiterhin einen ihnen hörigen
Prinzen der Herrscherfamilie, Ben Arafa, auserwählt, damit er zusammen mit dem Pascha El-Glaoui eine Regierung bilde, die bereit war, die Bedingungen der Franzosen anzunehmen. De Gaulle hat, als er an die Macht kam, dieser für Frankreich fatalen Regierung ein Ende gesetzt und den legitimen Herrscher, den die Bevölkerung wollte, heimgebracht. Damals haben französische Nationalisten gesagt, de Gaulle hätte Frankreich in Marokko verraten. Wie sich danach gezeigt hat, war genau das Gegenteil der Fall. Es gibt auch heute noch eine Freundschaft zwischen Frankreich und Marokko, weil eben viele Marokkaner erkannten, dass ihnen die Partnerschaft mit der europäischen Macht Vorteile bringe, wenn diese ihr Land nicht als Kolonie betrachtet, sondern es auch innerlich achtet. Das hat dazu geführt, dass auch heute die Franzosen in Marokko gerne gesehene Nachbarn sind, dass sich die französische Sprache weiter erhalten hat und dass Marokko seinerseits in Partnerschaft mit den Franzosen eine Gemeinschaft aufgebaut hat, die aller Wahrscheinlichkeit nach für Marokko die Möglichkeit bietet, das führende Land im Maghreb zu werden. Damit kann es eine Rolle spielen, die über die zahlenmäßige Bedeutung des Volkes beziehungsweise über das wirtschaftliche Potential des Landes hinausgeht. Es hat übrigens auch Marokko, im gleichen Geist wie de Gaulle, in den Nahöstlichen Konflikten eine konstruktive Politik verfolgt, wobei mit Bedauern festzustellen ist, dass Amerikaner, wie leider auch gewisse Funktionäre der Europäischen Union, niemals genügend erkannt haben, was die Marokkaner, ob Araber oder Juden, für eine Lösung des Nahost-Konfliktes leisten können.

Man könnte ähnliche Beispiele aus der Geschichte beziehungsweise aus allen Teilen der Welt fortsetzen, um zu zeigen, dass das Wichtigste, was man in der Politik tun kann, nicht darin besteht, Schlachten zu gewinnen. Das wahre Interesse der Völker ist, durch Schaffung einer friedlichen Atmosphäre den gemeinsamen Fortschritt durch Nutzung des mächtigen Potentials unserer Tage zu sichern.

Das gilt auch heute für die Lage im Nahen Osten. Es gibt keinen endgültigen Sieg, wenn man Feinde hinterlässt. Früher oder später werden diese doch wieder auferstehen, so wie das seinerzeit die Kreuzfahrer erleben mussten. Sie haben wohl gewaltige Leistungen erbracht und in Palästina eine Kultur geschaffen, die weit über
derjenigen der umgebenden Völker stand; diese hat aber kurze Zeit gedauert und hinterließ langfristig nur Ruinen.

Man kann, ob in Europa oder in der moslemischen Welt, einen dauernden Frieden nicht dadurch erreichen, dass man den Gegner demütigt und seinem Volk die Perspektive der Zukunft raubt."