"Wer die Geschichte kennt, wird aus dieser lernen, dass
das Wort Bismarcks, man könne mit Bajonetten alles machen, nur nicht
darauf sitzen, Ausdruck einer Grundwahrheit der Politik ist. Es ist nämlich
schon seit Urzeiten bekannt, dass dauernde Lösungen nur durch einen
allen Seiten gerecht werdenden Frieden erreicht werden können. Dazu
allerdings gibt es wesentliche Vorbedingungen, nicht zuletzt, dass man bei
ernstlichen Verhandlungen seinen Partner nicht aussuchen kann. Das lehrt
die Geschichte. Die wirklich Großen unserer Zeit, aber auch früherer
Perioden, haben dies erkannt. In unseren Tagen war es insbesondere General
de Gaulle, der mit seiner historischen Vision wusste, wie man einen Frieden
einleitet und tatsächlich durchführt. Er hat bereits im Laufe des
Zweiten Weltkrieges immer wieder betont, dass es eine dauernde europäische
Versöhnung ohne Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen in Europa
nicht geben kann. Er hat das in historischer Perspektive in die Formel gebracht:
Vorbedingung für unsere Zukunft sei die Revision des Vertrags von Verdun.
Geboten sei eine Verständigung zwischen den West- und Ostfranken.
De Gaulle hat dann später einen Frieden mit Algerien herbeigeführt,
indem er diejenigen Führer der algerischen Kämpfer zu seinen Partnern
machte, die am härtesten gegen Frankreich angetreten waren. Wäre
Frankreich seinerzeit den Weg gegangen, den Francois Mitterrand und seine
Freunde wollten, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach das Land an der
algerischen Krise zugrunde gegangen. So aber war der Friedensschluss mit
Algerien der Beginn der großen Rolle von Paris in der europäischen
Politik.
Nicht weniger bezeichnend war die Beziehung zwischen Frankreich und Marokko.
Kleingeistige Politiker, wie etwa Georges Bidault, hatten Mohammed V. von
Marokko verhaften lassen und in das Exil geschickt. Sie hatten weiterhin
einen ihnen hörigen
Prinzen der Herrscherfamilie, Ben Arafa, auserwählt, damit er zusammen
mit dem Pascha El-Glaoui eine Regierung bilde, die bereit war, die Bedingungen
der Franzosen anzunehmen. De Gaulle hat, als er an die Macht kam, dieser
für Frankreich fatalen Regierung ein Ende gesetzt und den legitimen
Herrscher, den die Bevölkerung wollte, heimgebracht. Damals haben französische
Nationalisten gesagt, de Gaulle hätte Frankreich in Marokko verraten.
Wie sich danach gezeigt hat, war genau das Gegenteil der Fall. Es gibt auch
heute noch eine Freundschaft zwischen Frankreich und Marokko, weil eben
viele Marokkaner erkannten, dass ihnen die Partnerschaft mit der europäischen
Macht Vorteile bringe, wenn diese ihr Land nicht als Kolonie betrachtet,
sondern es auch innerlich achtet. Das hat dazu geführt, dass auch heute
die Franzosen in Marokko gerne gesehene Nachbarn sind, dass sich die französische
Sprache weiter erhalten hat und dass Marokko seinerseits in Partnerschaft
mit den Franzosen eine Gemeinschaft aufgebaut hat, die aller Wahrscheinlichkeit
nach für Marokko die Möglichkeit bietet, das führende Land
im Maghreb zu werden. Damit kann es eine Rolle spielen, die über die
zahlenmäßige Bedeutung des Volkes beziehungsweise über das
wirtschaftliche Potential des Landes hinausgeht. Es hat übrigens auch
Marokko, im gleichen Geist wie de Gaulle, in den Nahöstlichen Konflikten
eine konstruktive Politik verfolgt, wobei mit Bedauern festzustellen ist,
dass Amerikaner, wie leider auch gewisse Funktionäre der Europäischen
Union, niemals genügend erkannt haben, was die Marokkaner, ob Araber
oder Juden, für eine Lösung des Nahost-Konfliktes leisten können.
Man könnte ähnliche Beispiele aus der Geschichte beziehungsweise
aus allen Teilen der Welt fortsetzen, um zu zeigen, dass das Wichtigste,
was man in der Politik tun kann, nicht darin besteht, Schlachten zu gewinnen.
Das wahre Interesse der Völker ist, durch Schaffung einer friedlichen
Atmosphäre den gemeinsamen Fortschritt durch Nutzung des mächtigen
Potentials unserer Tage zu sichern.
Das gilt auch heute für die Lage im Nahen Osten. Es gibt keinen endgültigen
Sieg, wenn man Feinde hinterlässt. Früher oder später werden
diese doch wieder auferstehen, so wie das seinerzeit die Kreuzfahrer erleben
mussten. Sie haben wohl gewaltige Leistungen erbracht und in Palästina
eine Kultur geschaffen, die weit über
derjenigen der umgebenden Völker stand; diese hat aber kurze Zeit
gedauert und hinterließ langfristig nur Ruinen.
Man kann, ob in Europa oder in der moslemischen Welt, einen dauernden Frieden
nicht dadurch erreichen, dass man den Gegner demütigt und seinem Volk
die Perspektive der Zukunft raubt."