Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, MdB
„In einem 1989 erschienenen Buch („Erdpolitik“)
habe ich das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Ökonomie
bezeichnet. Darin lag eine doppelte Pointe: erstens ist das 20.
Jahrhundert das des Durchbruchs, ja der Dominanz des ökonomischen
Denkens geworden, und zweitens wird diese Dominanz des wirtschaftlichen
Denkens nicht mehr als etwa hundert Jahre andauern. (Sie hat sich
überdies erst nach 1945 durchsetzen können!)
Das 19. Jahrhundert habe ich als das der Nationalstaaten und das 18.
Jahrhundert als das der Fürstenhöfe bezeichnet. Im 19.
Jahrhundert hätten ein Deutscher, ein Italiener, ein US-Amerikaner
die Idee, dass das Prinzip der Nationalstaaten im 20. Jahrhundert durch
das der Ökonomie abgelöst werden würde, als schwer
vorstellbar angesehen. Und ein Höfling des 18. Jahrhunderts
hätte die Idee einer Dominanz eines vom Volk statt vom König
bestimmten Nationalstaats mindestens als gefährlich, wohl
auch als sehr, sehr unwahrscheinlich angesehen.
Daraus folgt nun die Frage, was es denn sein kann, was sich ein Okonom
aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert nur schwer vorstellen konnte, was
aber das 21. Jahrhundert charakterisieren wird, wenn es dann einmal
richtig erwachsen ist, also etwa ab 2060. Wir sind alle keine
Propheten, aber in dem besagten Buch habe ich das 21. Jahrhundert als
das „Jahrhundert der Umwelt“ bezeichnet. Meine Überlegung dabei
war, dass die Dominanz des ökonomischen Prinzips
am Ende die Ausräuberung der Natur dermaßen perfekt zustande
bringen
würde, dass die Menschheit gezwungen sein würde, die Rettung
dessen,
was dann noch übrig geblieben ist, zur obersten politischen
Priorität
zu machen.
Der Übergang von einem zum nächsten Prinzip hatte stets einen
guten Grund. Die Ökonomie hat die Nationalstaaten vom Thron der
Dominanz
verdrängt, nachdem diese in unausgesetzten Kriegen ihre
Gefährlichkeit
bewiesen hatten. Und die Völker der Nationalstaaten hatten die
Könige
mit Recht als Souverän verdrängt, nachdem die Könige
bezogen
auf die Wünsche des Volkes und die Chancen der industriellen
Entwicklung so schlechte Souveräne geblieben waren. Und die
Umwelt, so war meine Überlegung, würde die Ökonomie mit
Recht verdrängen, nachdem
diese es nicht schaffen würde, die ökologische Nachhaltigkeit
von
sich aus zu erreichen.“