Transzendenz - Erfahrung und Wirklichkeit

 

An dieser Stelle wird demnächst eine Reihe philosophischer Fragen rund um das Thema Transzendenz behandelt werden.

Zu den zentralen Anliegen der Forschung gehört die Klärung der Natur von Transzendenz- Erfahrungen. Grundsätzlich stehen sich bei der Erklärung der Nah-Todeserfahrungen zwei gegensätzliche Positionen gegenüber:

Der subjektive Erklärungsansatz verleiht Nahtod-Erlebnissen den gleichen Rang wie Träumen, Halluzinationen und Illusionen. Sie werden als rein persönliche Erfahrungen betrachtet, als innere Erlebnisse, die keine wie auch immer geartete Verbindung zu einer transzendenten Wirklichkeit haben. Ein Hauptargument der subjektiven Erklärung ist die Verschiedenheit und die persönliche Prägung der Nah-Todeserfahrungen. Dadurch zeige sich, daß es sich hierbei um Ereignisse handle, die der Phantasie der betroffenen Personen entspringen.
Unterstützung erhält dieser Erklärungsversuch von zahlreichen Naturwissenschaflern, die ein materialistisches Weltbild vertreten. In diesem Rahmen, der heute der allgemein akzeptierte Ausgangspunkt für Forschung ist, kann es weder eine vom Körper unabhängige Seele noch transzendente Dinge wie Gott oder ein Leben nach dem Tode geben. Schon psychische Ereignisse, wie etwa alltägliche Wahrnehmungen oder moralische Bewertungen werden auf physikalische Ereignisse reduziert. Wo aber der menschliche Geist nur mehr aus Nervenregungen und Reflexen besteht, da bleibt kein Raum mehr für Gefühle und Eindrücke im eigentlichen Sinn, und erst recht unberechtigt ist dann die Annahme einer immateriellen Seele.

Der objektive Erklärungsansatz geht davon aus, daß die Menschen in Nahtod-Erlebnissen einer wie auch immer gearteten transzendenten Wirklichkeit begegnen und diese später in eigene Worte fassen. Jene sind dann vom persönlichen und soziokulturellen Lebenshintergrund geprägt. Vergleichbar ist diese Interpretation mit den abweichenden Beschreibungen von mehreren Personen, die eine weiße Statue durch jeweils andersfarbige Brillen betrachtet haben. Die tatsächliche vorhandene Figur erweist sich so als "gefärbt", nur ihre Struktur wird in etwa gleich beschrieben werden. Das Hauptargument der Befürworter einer objektiven Erklärung ist die auffallende Ähnlichkeit der verschiedenen Berichte, die sich in kulturübergreifender Übereinstimmung zeigt. Daß sich die besagten Erlebnisse besonders in Momenten körperlicher oder psychischer Krise zeigen, gilt als Anhaltspunkt für einen Mechanismus, der - spätestens - an der Schwelle des Todes einsetzt und eine Fortexistenz des Menschen einleitet.

Kaum bestritten ist der persönliche Einfluß auf eine Nahtod-Erfahrung: der subjektive Anteil. Dagegen wird vielfach bezweifelt, daß die besagten Erlebnisse auch einen objektiven Teil haben, eine transzendente Struktur, denen die jeweilige Person begegnet und die sich dabei in den Stationen des Erlebnisses zeigt. Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es keine jenseitigen Wirklichkeiten, und so kann es sich bei Nah-Todeserfahrungen nur um Illusionen handeln, die vom Körper selbst hervorgerufen werden. In Krisenzeiten sollten die trostspendenden Erlebnisse dafür sorgen, daß sich die Belastung eines Menschen in Grenzen halten. Sollte es diesen Mechanismus tatsächlich geben, so müßte er schon sehr früh erworben und weitervererbt worden sein. Um das kulturübergreifende Auftreten von Nahtod-Erfahrungen zu erklären müßten diese bereits entstanden sein, bevor sich die menschliche Rasse über die Erde verteilt hat. An diesen Voraussetzungen bestehen jedoch erhebliche Zweifel: Zunächst müßten die trostspendenden Erlebnisse einen Überlebensvorteil für den Menschen dargestellt haben, um als eine Art Notfall-Reflex Eingang ins Erbgut gefunden zu haben. Dazu aber treten die besagten Erfahrungen zu selten auf. Außerdem verträgt sich ihr Inhalt nicht mit den religiösen Vorstellungen des frühen Menschen. Nach dem Tod erwartete dieser den Einzug seiner Seele in eine trostlose Unterwelt; seine Verehrung galt den zahlreichen Göttern und Mächten, die er hinter den Erscheinungen einer beseelten Natur vermutet. Nah-Todeserfahrungen handeln dagegen von paradiesischen Jenseitslandschaften und der Begegnung mit einem monotheistisch geprägten Lichtwesen. Wenn schon die Inhalte der Erlebenisse keinen Niederschlag im Glauben des frühen Menschen zeigen, dann haben sie umso weniger einen wichtigen Vorteil für sein Überleben bedeuten können.

Der naturwissenschaftliche Rahmen wird damit zur Erklärung der Nahtod-Erfahrungen zu eng. Ihre Herkunft und ihr Sinn läßt sich nicht einfach in den Bereich der Biologie verlagern. Die übereinstimmend berichteten Stationen der Erlebnisse lassen vielmehr die tatsächliche Begegnung mit einer transzendenten Wirklichkeit vermuten, mit einer Welt, die den Kern der menschlichen Existenz berührt. Dafür sind schon die beobachtbaren Nachwirkungen der Erfahrungen ein deutliches Zeichen. Nahtod-Erfahrungen sind eine einzigartige und von ihrer Natur her ungewöhnliche Begebenheit: Weil der persönliche Hintergrund das Erlebte bzw. seine Wiedererinnerung stark prägt, kann sich nicht von einem realen Erlebnis im üblichen Sinne gesprochen werden. Wegen des starken subjektiven Anteils sollte besser von einer teilrealistischen Erfahrung die Rede sein.